16. Sitzung
»Wir wollten fliehen, doch es gab keinen Ausweg«
In der 15. öffentlichen Sitzung ging es erneut überwiegend um den verschlossenen Notausgang. Der Überlebende des Anschlags Piter Minnemann berichtete ausführlich von seinen Erlebnissen in der Tatnacht und dass er sicher sei, dass der Notausgang verschlossen war. Die nach ihm befragten Polizisten hatten entdweder große Erinnerungslücken oder schoben sich mit dem Ordnungsamt der Stadt Hanau gegenseitig die Schuld zu, dass es nicht vorher Konsequenzen für den verschlossenen Notausgang der Arena-Bar gab.
Als erster Zeuge des Tages sagte Piter Minnemann aus, der den rassistischen Anschlag am 19. Februar in der Arena-Bar überlebte. Er berichtete eingangs von der Tatnacht, wie er sich mit Freunden in der Arena-Bar traf und sie gemeinsam etwas aßen. Er berichtete auch, wie er noch gegen 21.30 versuchte, die besagte Notausgangstür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Minnemann setzte seine Schilderung des Tatabends fort: Wie sie die Schüsse hörten und alle versuchten, im hinteren Bereich der Bar hinter dem Tresen Schutz suchten, weil sie wussten, dass der Notausgang verschlossen war. Wie der Täter rein kam und das Feuer eröffnete, wie er den Notruf wählte und knapp vier Minuten vor der Bar nach Hilfe suchte. Wie er dann wieder rein ging, zwei seiner Freunde tot am Boden liegend sah und zwei weitere seiner Freunde verletzt waren. Als er mit diesen die Bar verließ, sah er einen Polizeiwagen und rannte zu den Polizisten, doch er hätte das Gefühl »mit einer Wand zu reden« obwohl er berichtete, dass in der Bar seine schwer verletzten Freunde liegen und rannte zu diesen zurück. »Ich habe mich nicht beachtet gefühlt«, so Minnemann. Erst etwa 10 Minuten später kamen die ersten Polizisten auf sie zu. Man habe gemerkt, dass sie überfordert waren.
Er schilderte zudem, wie er nach einer Untersuchung durch Sanitäter*innen von Polizist*innen zur Seite gebracht wurde. Diese berieten sich untereinander, was sie mit ihm machen sollten als sie erfuhren, dass er mit in der Bar war. Minnemann beschrieb, wie die Polizist*innen ihn dann zur Polizeistation Hanau 1 am Freiheitsplatz schickten, über 3km vom Tatort entfernt. Er habe es klar als Aufforderung wahrgenommen, jetzt sofort dahin zu gehen. Minnemann erzählte, wie er der Anweisung gefolgt sei ohne darüber nachzudenken, nach schon 100 Meter aber zusammen gebrochen sei und aus Angst nicht mehr weiter laufen konnte. Er versteckte sich in einer dunklen Ecke und rief einen Freund an, dass dieser ihn abholen solle. Als er zu Hause war habe er dann sehr lange geschlafen. Es sei menschlich, dass einzelne Polizisten an dem Abend an ihre Grenzen kämen, so Minnemann. Aber man hätte ihn zumindest fragen können, ob er etwas brauche oder ob ihn jemand abholen solle. Das Mindeste wäre gewesen, ihn den traumatisierten 19jährigen selbst zur Polizeiwache zu fahren.
Am nächsten Tag besuchte er einen seiner verletzten Freunde im Krankenhaus. Dort war auch zufällig die Kripo anwesend und nahm ihn mit zu Vernehmung. Dabei habe er sich aber sehr unwohl gefühlt, alleine mit zwei Polizisten nach diesen Erlebnissen. Ohne irgendeinen Beistand, ohne zu fragen ob er auch verletzt sei. Im Nachhinein habe er sich gefragt, was das für eine unprofessionelle Vernehmung der Polizei war.
Auf Nachfrage erklärte Minnemann, dass es 2-3 Monate gedauert habe, bis er psychologische Hilfe bekam um das Erlebte zu verarbeiten. Die Polizei hätte dabei nicht geholfen. Der Notausgang sei immer zu gewesen, er sei noch im Leben durch die Tür durch gegangen. Dass die Tür an dem Abend zu war wisse er zu 100%, da er kurz vor der Tat probiert noch hatte, sie zu öffnen um vor dem Notausgang eine zu rauchen, obwohl er eigentlich wusste, dass sie geschlossen gewesen sein musste. Er hätte es eher aus dem Affekt heraus trotzdem probiert, so Minnemann. Als die Tat begann sei er deswegen nicht zum Notausgang gerannt, da er nicht in eine Sackgasse laufen wollte. Wäre der Notausgang offen gewesen und hätten sie das gewusst, wären sie alle dorthin gerannt, war sich Minnemann sicher. Minnemann berichtete, er habe gehört, dass der Notausgang nach einer Razzia, bei der ein Anwesender Jugendlicher durch den Notausgang flüchtete und sich ein Polizist bei der Verfolgung verletzte, der Notausgang ab dann immer geschlossen gewesen sei.
Für Verwunderung sorgten einige Fragen des CDU-Abgeordneten Ruhl an Piter Minnemann zu den Razzien in der Arena-Bar und wer diese durchführte. Ruhl fragte, ob es sich um Razzien des Hanauer Ordnungsamtes anstatt der Landespolizei gehandelt haben könnte und ob Minnemann den Unterschied kenne. Minnemann antwortete hierauf nur: »Das Ordnungsamt trägt ein Wappen der Stadt Hanau, und die Landespolizei trägt ein Wappen vom Land Hessen. Das ist ganz einfach«.
Minnemann berichtete zudem, dass er von der Polizei eine Gefährderansprache bekommen habe, als der Vater des Täters aus der Psychiatrie entlassen wurde. Ein Polizist hätte bei ihm angerufen und gesagt »Lass die Finger von ihm. Lass ihn in Ruhe, sonst hat es Konsequenzen«. Er habe sich da wie ein Verbrecher und falsch behandelt gefühlt, so Minnemann deutlich.
LKA-Ermittler mit Erinnerungslücken
Als zweiter Zeuge des Tages sagte der Kriminaloberkommissar Taylan G. aus. Er wurde nach dem Anschlag zu den Ermittlungen des hessischen LKA dazu gezogen um zu überprüfen, ob der Notausgang in der Arena-Bar verschlossen war oder nicht. Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte 2021 die Ermittlungen hierzu eingestellt. Im Rahmen der Ermittlungen suchten er und ein Kollege zehn Monate nach der Tat die Bar auf. Weder er noch sein Kollege konnten die Notausgangstür öffnen, erst der Betreiber selbst tat dies im Anschluss mit mehr Kraft, da die Tür offenbar klemmte. Zur Tatnacht sprach G. von widersprüchlichen Angaben: Die Angestellten vor Ort sollen davon ausgegangen sein, dass die Notausgangstür offen war. Die Gäste gaben an, dass die Tür grundsätzlich verschlossen war. Der Betreiber habe ihm gegenüber gesagt, dass die Tür immer wieder mal verschlossen wurde. Laut Akten sei die Bar in den Jahren vor der Tat insgesamt 40 mal kontrolliert worden sein, entweder von Polizei, dem Ordnungsamt oder beiden gemeinsam. Dabei sei zweimal, 2013 und 2017, notiert worden, dass die Tür verschlossen war. Auf die Frage der CDU-Fraktion, ob die Frage der geschlossenen Notausgangstür aus ermittelt worden sei, antwortete G. mit: »Ja, ich glaube schon«.
Allerdings wies G. eine Reihe an Erinnerungslücken auf bezüglich der Ermittlungen: Ob es Konsequenzen gab, nachdem 2013 und 2017 festgestellt wurde, dass der Notausgang verschlossen war, wusste er nicht. Warum es kein Video von dem Teil der Bar-Begehung gab, in dem sie versuchten den Notausgang zu öffnen, konnte er nicht erklären. Ober er auch Polizist*innen vernommen hätte, die an den Razzien der Bar beteiligt gewesen waren, wusste er nicht mehr. So zog es sich immer weiter fort…
Die Aussage des LKA-Beamten voller Erinnerungslücken steht beispielhaft für viele Aussagen von Behördenvertreter*innen vor hessischen Untersuchungsausschüssen: Augenscheinlich bereiten sich Polizist*innen oder andere Behördenvertreter*innen oftmals nicht explizit auf ihre Zeugenanhörung im Untersuchungsausschuss vor, etwa durch eine erneute Sichtung aller Ermittlungsunterlagen. So können sie dann aufgrund der seitdem vergangenen Zeit auf Erinnerungslücken verweisen, wenn es um wichtige Detailfragen geht, die nicht zuletzt kontrollieren sollen, ob ihre Behörden richtig gearbeitet haben. Damit ersparen sie sich zugleich etwaige unangenehme Nachfragen oder gegebenenfalls Konsequenzen.
Ordnungsamt und Polizei beschuldigen sich gegenseitig für Versäumnisse
Als dritter Zeuge wurde Jörg T. befragt, Abteilungsleiter Ordnungsrecht beim Ordnungsamt der Stadt Hanau. Nachdem er den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen hatte erklärte er seine Aufgabenbereiche beim Ordnungsamt, in dessen Rahmen er u.a. für Gewerbe und Gaststätten zuständig sei. In der betreffenden Arena-Bar habe es zwischen 2012 und 2019 15 eigene Kontrollen des Ordnungsamts gegeben, sowie drei gemeinsame mit der Polizei. Die Kontrollen seien alle anlassbezogen erfolgt, meist um die dort aufgestellten Glücksspielautomaten zu kontrollieren.
Bei einer dieser Kontrollen wurde 2013 festgestellt, dass der Notausgang in der Arena-Bar verschlossen war. Dieser Mangel sei aber vom Betreiber während der Kontrolle beseitigt worden, indem er die Notausgangstür aufschloss und er aufgefordert wurde, den Notausgang immer offen zu haben. Damit sei es für seine Behörde erledigt gewesen, so T. Eine Nachkontrolle habe es nicht gegeben. Zum Erstaunen der Anwesenden erklärte er, das Ortungsamt sei seit der Verabschiedung eines eigenen Gaststättengesetzes in Hessen 2012 nicht mehr für die Kontrolle von Notausgängen zuständig. Das neue Gesetz habe die Bündelung aufgehoben und die Verantwortlichkeiten aufgesplittet. Notausgänge seien bauliche Maßnahmen und somit Angelegenheit des Bauamts, so T. Da der Notausgang bei ihrer Kontrolle direkt geöffnet und der »Mangel somit beseitigt« wurde, hätten sie auch keine Veranlassung gehabt, die Information über den geschlossenen Notausgang ans zuständige Bauamt weiterzugeben, so Jörg T. Hinweise der Abgeordneten, dass sich die Tür im Nachgang der Kontrolle ja wieder verschließen lasse, ließen ihn nicht seine Meinung ändern, dass er die Information hätte weitergeben müssen. Auf die Frage, ob ihm Absprachen zwischen Polizei und Betreiber der Arena-Bar bekannt seien um den Notausgang wegen Fluchtgefahr bei Razzien zu verschließen, antwortete er mit »in keinster Weise«.
Darauf angesprochen, dass die Polizei nach einer Kontrolle 2017, bei der erneut der Notausgang verschlossen war, dies an seine Behörde das Ordnungsamt weitergeleitet hatte, und fragten Jörg T. ob er das an das zuständige Bauamt weitergeleitet habe oder die Zuständigkeit an die Polizei zurückgemeldet habe. Darauf antwortete T. nur, dass die Polizei dies auch selbst an das Bauamt hätte weiterleiten können.
Ganz anders sah das der vierte und letzte Zeuge der Sitzung, der 53jährige Polizeioberkommissar Artie A. Er war bei der Kontrolle der Arena-Bar 2017 dabei, bei der erneut festgestellt wurde, dass der Notausgang verschlossen war. Anlass sei eine reguläre Jugendschutzkontrolle gewesen um zu schauen, ob sich Minderjährige in der Bar aufhielten. Zu Beginn seiner Ausführungen zog er über die Bar her, wie schmutzig diese gewesen sei, obwohl dies mit dem Sachverhalt nichts zu tun hatte. Zu dem verschlossenen Notausgang hätte er einen Vermerk geschrieben, der an das Gewerbeamt Hanau (laut ihm Teil des Ordnungsamts) und das Zollamt Darmstadt weitergeleitet wurde. Auf den Hinweis des vorherigen Zeugen, dass das Bauamt in Hanau für Notausgänge zuständig sei, antwortete er, normalerweise sei wegen des Notausgangs das Gewerbeamt und somit das Ordnungsamt zuständig. Über die Gesetzesänderung von 2012, nachdem das Bauamt zuständig sei, sei er nicht informiert gewesen. Er ginge davon aus, dass wenn ein Hinweis an die falsche Behörde ginge, diese den Hinweis an die richtige weiterleiten.
Damit endete die 15. Sitzung des Untersuchungsausschusses, in der die geladenen Behördenvertreter ein trauriges Bild abgaben: Während sich der LKA-Beamte nicht daran erinnern konnte oder wollte, wen er alles bei den Ermittlungen vernommen hatte, gaben sich Polizei und Ordnungsamt gegenseitig die Schuld, dass Hinweise über den verschlossenen Notausgang, der in der Tatnacht zur Todesfalle wurde, nicht bei der richtigen Stelle landeten.