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04.07.2022

13. Sitzung

»Es ist durchaus möglich, dass der eine oder andere [Notruf] mal nicht entgegengenommen wurde«

In der ersten Sitzung des Untersuchungs­ausschusses zum rassistischen Anschlags in Hanau nach der Sommerpause ging es um den nur unzuverlässig erreichbaren Notruf. Als Zeug*innen geladen waren zwei Polizisten, einer von der Station Hanau 1, ein zweiter aus der Technik Abteilung des Landespolizeipräsidiums, sowie der Staatsanwalt Martin Links, der das Ermittlungs­verfahren zum Notruf einstellte.

Der erste Zeuge der Sitzung war Marc Christian B., der von 2018 bis 2019 Stationsleiter des Hanauer Polizeireviers am Freiheitsplatz war. Auch zuvor war er schon auf der Polizeistation tätig. 2019 schrieb er einen Bericht an den Leiter der Polizeidirektion Jürgen Fehler, in dem um mehr Personal gebeten wurde, da es laut B. immer wieder vorkam, dass sie tagsüber zu wenig Beamten hätten, um den verschiedenen Aufgaben auf der Wache (Notrufe annehmen, andere Telefonleitungen bedienen, Anzeigen aufnehmen etc.) nachzukommen. Im Schreiben nannte B. explizit als Beispiel, dass es vorgekommen sei, dass eine Person für beide Notrufleitungen zuständig sei und eine dann klingeln würde, wenn gerade niemand dran gehen könnte. Er hätte in seiner Zeit zwar nie eine Beschwerde hierzu erhalten, aber es sei durchaus möglich, dass das passiert sei. Im Schnitt seien bei ihnen pro Tag 135 Notrufe aus Hanau und den umgebenden Kommunen eingegangen. Die Bitte um mehr Personal wurde jedoch von der zuständigen Abteilung im Stabsbereich E2 im Landespolizeipräsidium (LPP) abgelehnt, da man nicht ausreichend Personal habe, um jemanden zum Hanauer 1. Revier abzubestellen.

Im Weiteren Verlauf der Befragung ging es auch um die Zentralisierung des Notrufs im Polizeipräsidium Südosthessen (PPSOH). Diese sei nicht gekommen, als sie eigentlich beschlossen wurde, sondern man habe auf die Fertigstellung des Neubaus in Offenbach gewartet. Dies habe neben den räumlichen Gründen auch »Kostengründe« gehabt so Marc B. Zumindest habe er das immer wieder gehört.

Was er Vili Viorel Păun geraten hätte, wenn er dessen Notruf angenommen hätte, wollte B. nicht spekulieren. Jedoch rate man Anrufenden bei Bedarf grundsätzlich, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Zur Frage des fehlenden Notrufüberlaufs äußerte B. als einziger nicht explizit, dass er von dem fehlenden Überlauf nichts wusste, er wurde von den Abgeordneten aber auch nicht direkt hiernach gefragt. Er sagte aber, dass man natürlich auf der Wache die Erwartung habe, dass »wenn ein zweiter oder dritter Notruf« eingehe, dass der dann an anderer Stelle angenommen werde. Er als Stationsleiter entscheide jedoch nicht darüber, ob es einen Notrufüberlauf gibt. Das werde an höherer Stelle getan im LPP, so Marc B.

Nach vielen Fragen, zu denen Marc B. nichts sagen oder lediglich spekulieren konnte, wurde der Zeuge entlassen.

StA zu Notrufversuch: »Und einer der Provider hat gesagt: Bei uns hört man Stille.«

Auf ihn folgte der Hanauer Staatsanwalt Martin Links. Er begann damit, den Angehörigen sein Beileid auszudrücken. Auf Nachfrage stellte er die technische Struktur des Notrufs von Hanau und Umgebung kurz vor mit dem Fazit, dass maximal zwei Notrufe in Hanau gleichzeitig angenommen werden konnten. Eine Aufteilung der Notrufe auf beide Hanauer Polizeistationen habe das PPSOH 2006 aus Kostengründen abgelehnt. Hierzu lag eine E-Mail vor, die StA Links verlas und die die Aussage des vorherigen Zeugen damit bestätigte. Links erklärte, dass Vili Viorel Păun zwischen 21:57 und 22:00 fünfmal versuchte, den Notruf 110 zu wählen, zweimal davon vertippte er sich. Ob er bei den drei richtig gewählten Notrufen durchgekommen wäre, könnte er nach den Ermittlungen nicht zweifelsfrei sagen. Ebenfalls nicht sicher sagen konnte Links, was Vili Viorel Păun gehört hätte, wäre er denn durchgekommen. Bei zwei Providern waren es Besetztzeichen, bei einem schlicht Stille. Da nicht angenommene Anrufe von dem System auf der Polizeistation gar nicht erst registriert wurden, ließe sich hieraus auch keine genaue Information gewinnen.

Insgesamt kam StA Links zu dem Schluss, dass die Notrufanlage mit nur zwei Plätzen und ohne Notrufüberlauf deutlich überholt gewesen sei, weswegen es auch konkrete Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden auf Seiten der Polizei gab. Allerdings sehe er keine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei der Polizei Hanau hierbei, weswegen das Verfahren auch schließlich von der StA eingestellt wurde. Selbst wenn Vili Viorel Păun durchgekommen wäre, hätte die Zeit nicht gereicht, dass Polizisten die Morde am zweiten Tatort hätten verhindern können, so StA Links. Und auch ob Vili durch einen Hinweis am Notruf, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, wäre er denn durchgekommen, rechtzeitig davon abgelassen hätte, den Täter zu verfolgen und somit nicht erschossen worden wäre, könne er nicht mit Sicherheit sagen. Unter anderem, da nicht klar sei, ob die Zeit des Notrufs ausgereicht hätte, sich zu verständigen, sodass die Polizisten ihm den Hinweis hätten geben können und ob Vili dann wirklich angehalten hätte, so der Hanauer Staatsanwalt. Daher sei das Verfahren eingestellt worden.

Auf die Einlassung des Staatsanwalts, man wisse nicht ob Vili Viorel Păun durchgekommen wäre, sprach die Abgeordnete Hofmann (SPD) ihn auf Telefonklingeln im Hintergrund der Aufzeichnung des ersten angenommen Notrufs an und ob diese Anrufversuche nicht von Herrn Păun stammen könnten. Der StA entgegnete hier aber nur, dass man dies nicht sagen könne, da nicht angenommene Notrufe nicht aufgezeichnet würden. Verwunderlich war die Aussage des Staatsanwalts, dass beim Eintreffen des ersten Notrufs nur drei Polizist*innen in der Wache befunden haben: Eine, die den ersten Notruf annahm, ein zweiter, der den zweiten Notruf annahm und mit einem Praktikanten (dem dritten auf der Wache) anschließend zum ersten Tatort fuhr. Tatsächlich war jedoch eine weitere Beamtin auf der Wache, die in einem Hinterzimmer eine Anzeige aufnahm und erst Minuten später von der Lage etwas mitbekam, da sie vorher nicht informiert wurde.

Als »Geburtsfehler« des unzulänglichen Notrufs in Hanau bezeichnete der Staatsanwalt, dass 2001 beschlossen wurde, das bis dahin bestehende Notrufsystem abzuschaffen, ohne einen adäquaten Ersatz zu schaffen bis zum Neubau des PPSOH 20 Jahre später. Seitdem hätte hier Handlungsbedarf bestanden, so Links. Am Tathergang selbst hätte eine bessere Notrufinfrastruktur zwar nichts geändert, so Links, jedoch war das Notrufsystem für eine Lage wie in der Tatnacht »vollkommen unzureichend«.

Mitarbeiter für Technik bei der Polizei: »Technisch ist mit Sicherheit alles möglich««

Der letzte Zeuge des Tages war Oliver S. vom hessischen Polizeipräsidium für Technik (HPT). Dort sei er sei 2002, seit 2008 sei er verantwortlich für die Leitstellen. In seiner Befragung ging es viel um die genaue technische Ausgestaltung des Notrufs, wobei viel wiederholt wurde, was schon bekannt war. Zentral in der Anhörung war die Frage, ob es nicht vor der Installation eines Notrufüberlaufs in Hanau 2021 eine Möglichkeit für einen Notrufüberlauf gegeben hätte, durch den nicht angenommene Notrufe weitergeleitet werden können. Hierzu sagte Oliver S., »technisch ist mit Sicherheit alles möglich«, nur eben nicht mit der vorhandenen Technik. Es sei eine Frage der Kosten, wobei diese hierbei seiner Meinung nach keine Rolle spielen sollten, so S., und der Zahl der Personen, welche die Technik bedienen.